Vielen von uns ist Japan auch als „das Land von Anime und Manga“ bekannt. Auch wenn Japan durchaus mehr zu bieten hat als Comics und Fernsehserien, so ist der Hype um Anime und Manga um einiges ausgeprägter als bei uns in Europa. Statistiken zeigen, dass die Anime-Industrie fast die Hälfte der Einnahmen im eigenen Land erzielt; ein beachtlicher Fakt, wenn man bedenkt, dass die in Japan produzierten Anime oft weltweite Fans aufweisen. Es dürfte daher nicht verwunderlich sein, dass Anime und Manga daher tiefer in den Alltag sowie in die Gesellschaft etabliert sind, als wir es uns eigentlich vorstellen können. Eine Einrichtung, die aus Japan gar nicht mehr wegzudenken ist und ihren Erfolg auf die Beliebtheit von Anime und Manga aufbaut, sind die sogenannten manga kissaten [漫画喫茶店], zu deutsch: Mangacafés.
Anders der Name zunächst darauf schließen lässt, handelt es sich dabei nicht um gewöhnliche Cafés, in denen man Manga lesen kann. Vielmehr sind Mangacafés eine Mischung aus Bibliothek und Internetcafes, in denen man zusätzlich noch Getränke und Essen bestellen kann. Was zunächst total verrückt klingt, ist in Japan ein beliebtes Konzept, das man in Großstädten an fast jeder Straßenecke findet. Doch was macht diese Mangacafés so erfolgreich?
Manga lesen ohne Limit
Auf der einen Seite sind es natürlich die Manga selbst. Mangacafés ähneln einer Bibliothek und weisen eine riesige Menge an verschiedenen Manga auf. Manga erfreuen sich in Japan einer großen Beliebtheit und werden von sämtlichen Altersklassen konsumiert. Im Gegensatz zu Deutschland, in denen Comics oft eher an Kinderbücher erinnern und oft nur von jüngeren Generationen gelesen werden, haben Manga in Japan einen guten Stellenwert und werden von den verschiedensten Leuten an den verschiedensten Orten gelesen: In der Pause auf der Arbeit, im Zug auf der Heimfahrt oder zu Hause auf dem Sofa.
Je nach Genre haben Manga vergleichsweise oft wenig Text und lassen sich durch die Kanji – Schriftzeichen, die ihre eigenen Bedeutungen tragen – leicht und schneller lesen als deutsche Texte. Ein Japaner braucht für einen Durchschnittsmanga daher keine 15 Minuten, um diesen komplett durchzulesen – daher bietet es sich natürlich an, für ein paar Stunden in ein Mangacafe abzusteigen und gleich ganze Mangareihen durchzulesen. Oftmals zahlt man so weniger, als wenn man sich die Bücher gleich in einem Geschäft kauft – wobei die Mangapreise in Japan dennoch recht billig sind.
Als Besucher in einem Mangacafé hat man also völlige Freiheit und kann sich die Manga, die man lesen möchte, einfach selbst aus einem der unzähligen Regale nehmen. Dabei ist es völlig egal, ob man sich immer nur einen Manga oder gleich mehrere auf einmal nimmt: Es gibt weder Vorschriften noch Regeln. Die Kriminalitätsrate in Japan ist sehr gering, darüber hinaus achten Japanern auch stets auf ihre Mitmenschen. Die Gefahr, dass durch fehlende Kontrollen Manga einfach geklaut und mit nach Hause genommen werden, ist daher nicht gegeben.
Die Preise eines Mangacafés
Natürlich setzt man sich in einem Mangacafé nicht einfach an einen Tisch, wie in einem gewöhnlichen Café, und zahlt pro gelesenes Buch. Die Preise in Mangacafés sind vielmehr nach Zeit gestaffelt, sodass es gar keine Rolle spielt, wie viele Manga du dir durchlesen willst. Oft gibt es die Auswahl zwischen Paketen, mit denen man mehrere Stunden Zeit am Stück „kauft“, und einem flexiblen Tarif. Zeitpakete lohnen sich dabei natürlich mehr, wenn man vor hat, sich länger im Mangacafe aufzuhalten: So zahlt man beispielsweise für ein Vierstundenpaket um die 1200 Yen [entspricht circa 10 €], während man mit den flexiblen Tarifen für 10 Minuten oft schon 120 Yen zahlen muss.
Um ein Mangacafé zu nutzen, muss man zunächst Mitglied werden
Die meisten Mangacafés sind keine kleinen lokalen Geschäfte, sondern gehören zu einer großen Kette. Große Ketten sind z.B. „geragera“, „i-cafe“ oder „popeye“, zu denen der Großteil aller Mangacafés gehört. Die Preise für die Nutzung des Mangacafés variieren von Geschäft zu Geschäft, die meisten großen Ketten gestalten ihre nationalen Preise jedoch weitgehend einheitlich.
Eine Besonderheit bei fast allen Ketten ist die Tatsache, dass man zunächst Mitglied werden muss. In der Praxis bedeutet das, dass man zunächst ein Formular mit seinen persönlichen Daten ausfüllen muss und danach eine Mitgliedskarte ausgestellt bekommt, die fortan bei allen Besuchen genutzt werden muss. Bei den meisten großen Ketten kostet die Mitgliedschaft einmalig 500 Yen [entspricht 4,50 €], danach kann die Karte dann aber unbegrenzt genutzt werden; vorausgesetzt, man verliert oder vergisst sie nicht. Störend wird das erst, wenn man bei mehreren Mangacafés Mitglied wird, denn je mehr verschiedene Mangacafés man benutzt, umso mehr Mitgliedskarten muss man mit sich herumschleppen.
Die Leistung der verschiedenen Ketten ist aber meistens identisch, sodass man, einmal eingecheckt, gar nicht merkt, in was für einem Mangacafé man nun eigentlich gerade ist.
Und was hat das nun mit Internetcafés zu tun?
Wenn man in einem Mangacafé eincheckt, hat man in der Regel die Wahl zwischen einem „offenen“ und einem „privaten“ Platz, die sich vor allem im Preis unterscheiden. Bei beiden Optionen ist die Besonderheit, dass man zusammen mit dem Platz auch einen Computer mietet, den man in der ganzen Zeit unbegrenzt nutzen kann; genau wie in einem Internetcafé. Erwähnenswert ist hier, dass auf dem Computer normalerweise eine ganze Reihe von Spielen, Serien sowie Filmen und Erotikfilmen vorinstalliert sind, sodass der Computer als richtiges Multimedia-Center fungiert. Nun bleibt jedoch die Frage, was das Lesen von Manga mit der Nutzung von Computern zu tun hat. Eine Antwort darauf habe ich allerdings auch nicht. Wenn du nur zum Mangalesen in eines der unzähligen Cafés gehen möchtest, besteht leider nicht die Möglichkeit, einen Platz ohne Computer zu mieten; die gibt es in der Regel gar nicht. Die Effizienz dieses Modells könnte man daher in Frage stellen; in Japan tut man das jedoch nicht.
Und wo ist der Unterschied zwischen den offenen und den privaten Plätzen?
Offene Plätze sind im Preis meistens wesentlich günstiger als private Plätze. Bei den offenen Plätzen sitzt man mit anderen Gästen an einem großen, langen Schreibtisch und hat seinen eigenen Computer vor Augen. Dort kann man dann machen, was man will. Manga lesen, Spiele spielen oder Filme gucken.
Private Plätze dagegen sind meistens wie richtige kleine Räume mit einer Tür und Sichtschutz. Während diese Plätze in der Regel oben offen sind und man über die Wand zu seinem Nachbar gucken kann, wenn man sich ein wenig streckt, so hat man hier doch seine Ruhe. Private Plätze sind entweder mit einer weichen Matte ausgestattet, sodass man sich quasi hinlegen kann, oder mit einem Stuhl oder einem Sofa, auf das man sich setzen kann. Dadurch, dass die Türen dieser Räume abgeschlossen werden können und man die Mangacafes an jeder Straßenecke findet, werden sie auch oft als Hotel zweckentfremdet und zum Schlafen verwendet
Übernachten im Mangacafé
Das Konzept, Gäste in Mangacafés schlafen zu lassen, ist nicht unbekannt oder verboten. Dadurch, dass Mangacafés 24 Stunden am Tag geöffnet haben und so auch nachts besucht werden können, werden sie oft von betrunkenen Geschäftsmännern benutzt, die es nach der Party nicht mehr nach Hause geschafft haben. Da in Japan i.d.R. Zwischen Mitternacht und 5 Uhr morgens keine Züge mehr fahren, kommt es oft vor, dass Japaner es nicht mehr rechtzeitig in die Bahn schaffen und die Nacht in einem Mangacafe statt in einem Hotel verbringen, da diese auch viel günstiger sind.
Große Mangacafé-Ketten haben das Potenzial ihrer Cafés daher schon lange erkannt und sich auf späte Kunden vorbereitet. Neben speziellen Nachttarifen, die den Kunden für wenig Geld die Übernachtung in einem bestimmten Zeitfenster erlauben, bieten einige Mangacafés sogar kostenlose Decken für ihre Kunden an, damit diese nicht frieren und ruhig schlafen können.
Darüber hinaus bieten die meisten Mangacafés noch viele weitere Extras, so werden z.B. auch Zahnbürsten und Handtücher verkauft.
Besonders beliebt sind auch die Duschen, die man in vielen Mangacafés findet. Für ein kleines Entgelt kann der Kunde so sogar eine heiße Dusche nehmen und im Härtefall am nächsten Morgen direkt vom Mangacafé zurück in die Arbeit fahren – eine günstige und beliebte Alternative zum Kapselhotel.
Essen und Getränke im Mangacafé
Neben den ganzen bereits erwähnten Extras bieten die meisten Mangacafés auch die Möglichkeit, für umgerechnet 4-10 € etwas zu Essen zu bestellen. In den meisten Fällen handelt es sich dabei zwar um Fertiggerichte für die Mikrowelle, interessant ist dieser Service aber trotzdem. Neben den Fertiggerichten bieten Mangacafés in der Regel auch alkoholische Getränke wie Bier, Sake oder Cocktails, die in etwa die gleichen Preise wie in einer Bar oder einer Kneipe haben. Die Getränke sowie die Gerichte lassen sich entweder über ein Telefon in der Privatkabine oder direkt vorne am Counter bestellen und werden dann nach der Zubereitung an den eigenen Platz gebracht.
Das interessanteste Konzept bieten jedoch die sogenannten Drinkbars, sprich: All-you-can-drink Automaten. An den Zapfanlagen findet man allerlei verschiedene alkoholfreie Getränke wie Wasser und Tee, aber auch Softdrinks wie Cola oder Sprite. Teilweise werden auch Milchgetränke wie Kakao oder auch Gemüsebrühen kostenfrei angeboten. Größere, zentral gelegene Mangacafés bieten teilweise sogar Eisautomaten, an denen man sich kostenfrei Softeis zapfen und danach mit verschiedenen Saucen garnieren kann – alles im Preis mit inbegriffen.
Wer also auf seiner nächsten Japanreise mal nach etwas Abwechslung sucht und ein Mangacafé besuchen möchte, kann dies gegen ein kleines Entgelt tun – auf der Suche nach solchen Cafés hilft auch Google Maps. Einzig und allein die Sprachbarriere sollte dabei nicht vergessen werden, denn Mitarbeiter in Mangacafes sind oft nur Aushilfen und verfügen in den meisten Fällen nicht über besonders gute Englischkenntnisse. Wenn du also eine Reise nach Japan planst oder dich für die japanische Sprache interessierst, wäre vielleicht unser Japanisch-Grundkurs genau das richtige für dich?